Kunstkritik

Dr. Heike Welzel-Philipp, Kunsthistorikerin

Vortrag zur Ausstellungseröffnung 
von Dr. Heike Welzel-Philipp, M. +49.(0)176.20616668 
Dauer der Ausstellung: 06.09. – 01.11.2013, Montag- Freitag 9.00 – 14.00 Uhr (ausser Mittwoch) bzw. nach Vereinbarung im AIV Berlin, Bleibtreustrasse 33, 10707 Berlin

Volker Nikel formuliert seit über drei Jahrzehnten einen markanten Beitrag zur Berliner Gegenwartskunst, und dies vorneweg gesagt, mit bemerkenswerter künstlerischer Offenheit und jener Form von kreativer Neugierde, die eine, um es einmal so auszudrücken, ordentliche Dosis von „unordentlichem Gefühl“ enthält. Will sagen: Volker Nikel ist ein Künstler, der immer wieder definierte Terrains, wie die Darstellungsweisen von Figuration und Abstraktion oder die Genres der Malerei und Plastik, durchbricht und vermeintlich Gegensätzliches verbindet – und das nicht unbedingt mit kalkulierter Ratio, sondern eher aus der pulsierenden Kraft der Emotion heraus.

Den Ausgangspunkt seines künstlerischen Werdeganges stellte die figurative Malerei dar, mit der sich Volker Nikel während seines Studiums bei Professor Klaus Fußmann an der Berliner Hochschule der Künste auseinandersetzte. In den 1980er Jahren befreite er sich jedoch von aller gegenständlichen Begrenzung und brillierte auf dem weiten Feld der Abstraktion, wofür das ausgestellte Bild „Imperia“ mit seiner Konzentration auf Farbe und Form ein Beispiel ist. Nur mittels einer gelb-orangen Farbkraft wird hier der goldene Zauber eingefangen, den das Sonnenlicht auf die ligurische Hafenstadt Imperia wirft. Dazu geometrische Formen, die an Paul Cézannes Verständnis „Alles in der Natur modelliert sich wie Kugel, Kegel und Zylinder“ erinnern lassen und ein quadratischer Bildgrund, der eine Analogie zu Kasimir Malewitschs „Schwarzem Quadrat“, jener Ikone und Inkunabel der gegenstandslosen Kunst, darstellt.

In seiner aktuellen Schaffensphase jedoch, was die übrigen Bilder dieser Ausstellung bezeugen, taucht das Gegenständliche plötzlich wieder auf. Aus den einstigen Antipoden Figuration und Abstraktion ist eine bemerkenswerte Symbiose geworden.

So wird die Malfläche in tiefer Verinnerlichung des Abstrakten Expressionismus, mit dem sich Volker Nikel ab den 1980er Jahren auseinandersetzte, unmittelbar und spontan bearbeitet. Durch kurze Pinselstriche oder scharfkantige Pinselhiebe erfolgt ein energiegeladener Farbauftrag. Farbfetzen fliegen, Farbe läuft, fließt, trieft. Es wird gespachtelt. Es wird lasiert. Nebeneinander. Übereinander. Kurzum: Alles ist in Motion, nichts ist starr. Stellenweise ist die Farbe dick „alla prima“ aufgetragen, die Faktur wird opak, zeigt haptische Qualität. Stellenweise ist der Auftrag der Ölfarbe leicht und luftig wie bei einem Aquarell ausgeführt.

Immer wieder wird das Bild während der Malaktion gedreht, gewendet und übermalt, was zahlreiche Pentimenti erkennen lassen. Durch diesen vitalen Arbeitsprozess, der sich bei einzelnen Bildern über Jahre hinweg entwickeln kann, wird die Komposition ständig angezweifelt, hinterfragt, in Frage gestellt, überprüft. Aus simpler Farbfläche wird somit komplexer Farbraum.

Volker Nikel lässt das Bild ohne erklärtes Bildfindungsziel entstehen. Es wird vollends aus der Farbe geschöpft. Aus diesem Farberlebnis windet, schält sich das Figurative heraus. Die Körperform, meist schemen- oder schattenhaft vorgeführt, entsteht somit ausschließlich aus dem Farbanlass und ist frei von einer detaillierter Abbildhaftigkeit.

In dem Bild „Schilf“ von 2013, das zu einer Reihe weiterer Wasserbilder gehört und ein tradiertes Thema der Kunst, z. B. Paul Cézannes Badende, aktualisierend fortführt, steigt das Figurative wie der Meeresgott Neptun aus den Farbtiefen an die Oberfläche empor: Wasser, Menschen, Natur tauchen plötzlich auf. Immer wieder fließen Abstraktes und Figuratives ineinander. Viel warmes sonniges Goldgelb strahlt durch das Bild und wird über Orange bis hin zu infernalischem Rot spannungsvoll gesteigert.

Volker Nikel präsentiert sich durchweg als ein Maler, der die Kraft, Symbolik und Gesetzmäßigkeiten der Farbe kennt und souverän beherrscht. So lässt er immer wieder ein kräftiges Farbleuchten mit vielen Komplementär-, Warm-Kalt- oder Farb-an-sich-Kontrasten entstehen. Dennoch wirken seine Bilder niemals grell oder plakativ, sondern durch gekonnt gesetzte Zwischentöne entsteht ein harmonischer Zusammenklang. „Die Farbe tut etwas“ – konstatierte einst Johann Wolfgang von Goethe. Und Volker Nikel lässt die Farbe Gewaltiges tun!

Dieser so authentische Maler bleibt nicht nur der Begrenzung der zweidimensionalen Bildfläche verhaftet, sondern er präsentiert sich zudem als Bildhauer. Vielleicht hat ihn ja einst die haptische Qualität der überquellenden Farbe hinaus in den Bildraum gelockt, wofür der frühe „Objektkasten“ ein schönes Beispiel ist. Er erinnert an die Bildreliefs von Wladimir Tatlin, dem Vater der Konstruktivismus, mit denen der Weg von der Fläche in den Raum beschritten worden ist.

Volker Nikels im dreidimensionalen Raum angelangte Skulpturen, aus Metall oder Holz, lassen immer wieder eine Affinität zu seiner Malerei spüren. Zum Beispiel: der experimentelle Umgang mit Material, seine facettenreiche Bearbeitung in Dutzenden von Arbeitsgängen. Zum Beispiel: die auf anatomische Akribie verzichtende Figurenauffassung mit ihrer eher schattenhaft-ornamentalen Plastizität. Zum Beispiel: die Tendenz zum Spontanen, zum Gröberen.

Doch ob nun in Malerei oder Plastik: Volker Nikel gibt keine klare Deutung vor. Es geht ihm nicht um die Umsetzung eines festgelegten Ziels. Er präsentiert sich durchweg als ein Künstler, der sich vollends – fast kontemplativ – dem Material – Farbe, Metall, Holz – hingibt und dessen inhärente Möglichkeiten auf unkonventionelle Weise aufspürt. Eine wahrhaft künstlerische Intention, die nicht nur Neugierde, Mut und Risiko, sondern auch Zweifel und Fragen voraussetzt, gleichzeitig seinen Arbeiten jene bemerkenswerte Tiefe, jenen bemerkenswerten Tiefgang verleiht.

Ernst Hövelborn, Philosoph

Einführung Volker Nikel Skulpturen 25.10.2009

Meine Damen und Herren,

im Text, dem der Einladung zur Erläuterung beigefügt ist, treten die Begriffe Expressionismus, die Metaphern wie brachiale Gestaltauflösung und die Schilderung eines resoluten Umgangs zur Freilegung der Kunstidee auf. Brachial bedeutet in seinem Wortsinn, den Arm betreffend und unter Brachialgewalt versteht man die Anwendung roher körperlicher Gewalt. Betrachtet man die Skulpturen von Volker Nikel, der in der deutschen Kunstmetropole Berlin lebt, dann sieht man nicht nur die klassischen bildhauerischen Eingriffe mit Hand und Arm und dem Stechbeitel, sondern auch mit mechanischen Geräten, wie der Motorsäge, der Bandsäge, dem Brennschneider, Schweißbrenner und der selbst der Flex. Sie können aufgrund ihrer elektromechanischen und physikalisch-chemischen Eigenschaften ganz andere Krafteinwirkungen ermöglichen als die Hand, die den Meisel oder Stechbeitel führt. Hand und Arm dienen hier mehr zur Kontrolle und weniger zur brachialen Einwirkung, Die Formen der Gestaltauflösung und der damit wieder verbundenen Gestaltgenerierung von Volker Nikel sind neuartig und überraschend.

Wie schon gesagt, es bleibt trotz diesem Fakt der Gestaltauflösung durchaus Gestalt erhalten und ihre Wirkung entspricht dem Diktum der Gestaltpsychologie: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Dies bedeutet, dass auch die forcierte Gestaltauflösung sich ihrer vollständigen Auflösung widersetzt und immer noch oder immer wieder doch als Ganzes wirkt, das eben nicht nur aus Fragmenten besteht, sondern seine Ausdruckskraft aus dem Willen zum Zusammenschluss bezieht. Dies zeigt sich besonders eindrucksvoll an verschiedenen Kleinplastiken von Volker Nikel, die aus der massiven Stahlplatte gleichsam heraus gebrannt wurden und nun Gestalt im Sinne menschlicher Figuration angenommen haben, deren Oberfläche und damit Haut geradezu gegerbt ist von den Einschnitten Kanten, Spurrillen, Verbrennungen des Brennschneiders und seiner mit Äthylen und Sauerstoff hoch erhitzten Flamme. Diese Figurinen, vielfach Gedankenschritte auf dem Weg zu einer Großskulptur, aus einem Stück hergestellt, sprechen die Sprache ihrer Herkunft, der Geburt aus der Macht der Flamme und des Feuers.

Die forcierte Motorik der Motorsäge tendiert zu tiefen und raschen Einschnitten, die Spuren hinterlassen, wie z.B. bei dem liegenden Hund, dessen, dem Rundholz entnommene Körperlichkeit, expressiv von den Schnittspuren und Kanten geprägt und dessen hündisch geartete gestalthafte Formation Resultat der Deformation eines gewachsenen Stücks Holzes ist. Die motorisch beschleunigte Destruktivkraft einer Kettensäge, die in rasender Geschwindigkeit aus einem gestalthaften Zusammenhang eine Art Entropie herstellen kann, geht hier in die umgekehrte Richtung. Das, was destruktiv beginnt, setzt Volker Nikel als Element seines Schöpfungsprozesses ein, der vom Material und daher nicht ex nihilo beginnt, sondern darin seinen Anfang findet. Das Resultat eines solchen Vorgangs sind auf der einen Seite Kernplastiken, die mit ihren Volumen den Raum verdrängen oder wie bei den Figurengruppen im zweiten Stockwerk ihn durchstellen und auf der anderen Seite die vom Raum ausgezehrten Gestalten, die z.B. wie die im dritten Stockwerk, vom Feuer dunkel gebrannte und aus hartem Rubinienholz heraus gesägte menschliche Gestalt. Als Gegensatz zu den raum­verdrängenden und raumdurchstellenden Figurengruppen, die in kommunikativer Gemeinsamkeit vom Künstler zusammengeschweißt oder im Holzblock belassen wurden, erweisen sich die vom Raum ausgezehrten Gestalten, die in gotischer S-Linigkeit, entmaterialisierter und vergeistigter Körperlichkeit aus ihren Sockeln gleichsam wie Pflanzen emporwachsen und so aus ihrer dunklen Hülle dem belebenden Licht oder dem erfüllenden Heil entgegenstreben.

Martin Heidegger hat in seinem philosophischen Hauptwerk Sein und Zeit von der Räumlichkeit des innerweltlich Zuhandenen gesprochen, damit das Dasein als ein Räumliches bezeichnet und das Sein im Raum als eine bestimmte Seinsart des Seienden charakterisiert. Das Dasein selbst ist jeweils von einem Körperding bestimmt, das einen gewissen Platz einnimmt. In dem „Hier“ und „Jetzt“ einer aufgestellten Skulptur liegt wiederum die in das Zeitliche eingebundene Tendenz der Entfernung, aber auch der Näherung und der Nähe. Der Raum um dieses Körperding bestimmt sich durch den Abstand, sodass bei der Wahrnehmung eines solchen Körperdings das Zwischen dieses Abstandes in Erscheinung tritt, wobei ein solches Abstandnehmen wiederum durch das Element der Entfernung, bzw. Näherung definiert wird und damit zugleich ein Moment der Orientierung im Raum darstellt. Dies ist besonders bedeutsam bei Skulpturen im öffentlichen Raum, die diesen erst auf Entfernung und Näherung anlegen.

Volker Nikel hat sehr bedacht und einfühlsam im zweiten Stockwerk in dem Raum rechts vom Eingang eine dunkel gebrannte Holzskulptur aus Eisenholz aufgestellt, deren Inhalt aus der Form selbst und den Richtungsgegensätzen der Horizontale und Vertikale besteht. Bedacht und einfühlsam deswegen, weil er damit zugleich einen Blickkontakt nach draußen zur Großskulptur der Treppe auf dem Markgrafenhof her­stellte und somit auf das Anliegen seiner Skulptur verweist, nämlich auf ihre endgültige Aufgabe, einen öffentlichen Platz oder Raum als innerweltlich Zuhandenes zu strukturieren

Die ausgestellten Skulpturen von Volker Nikel selbst sind in ihrem In- der-Welt- Sein, wie Heidegger sagen würde, primär als Räumliche zu begreifen und zwar in der Mannigfaltigkeit der drei Dimensionen, die sie als Richtungen verkörpern und damit Ausrichtungen auch in Hinblick auf den, der sie betrachten will, vornehmen. Zugleich erfordern sie den Modus der Näherung, der sich als ein Zwischenraum auftut, auf der einen Seite zwischen Skulptur und betrachtender Person und auf der anderen Seite in der jeweils eigenen räumlichen Dimension der Skulpturen selbst, sodass immer ein Zueinander bestehen bleibt, jedoch unter der Voraussetzung, dass jede Skulptur ihr eigenes Dasein besitzt, das sich in einer Art von Raumgeben zeigt.

Dieses Raumgeben führt letztendlich über das Maß des Zwischenraums wieder zum Zueinander und somit zu einem in sich geschlossenen plastischen Ensemble. Besonders eindrucksvoll ist dies bei den im zweiten Stockwerk ausgestellten Holz­skulpturen nachzuvollziehen. An ihnen hat nicht die Motorsäge ihr rasches Werk getan, sondern noch die geduldige Arbeit von dem mit Arm und Hand geführten Stechbeitel. Das Resultat sind Menschengruppen, die wie schon erwähnt, eine hohe kommunikative Dichte auszeichnet, eine Art von gemeinsamer Herkunft aus einen Stück Holz, das sowohl von der harten Olive, dem gefügigen Lindenholz, der festen Rubinie, der Pappel als auch von exotischen Hölzern wie der Würgefeige und dem Eisenholz herstammen kann.

Die Figuren selbst erweisen sich als Körper, die auf das Notwendigste reduziert sind, d.h. die Merkmale des Geschlechts, der Gesichtsausdruck, die Gestik der Hände findet sich nur noch in plastischen Rundform vereinfacht, sodass beseelte Körperlichkeit sich äußert in Grundformen der Bewegung, dem Stehen und Hocken, dem gegenseitigen Umfassen, der Verschmelzung der Hände und der Haltungen der Köpfe.

So stehen in einer Holzskulptur im zweiten Stockwerk eine Frau, ein Mann und ein Kind, im Rund des Baumstamms vereint, zueinander, vom Wesen und der Erscheinung her ist die Frau zierlicher und zerbrechlicher angelegt, der Mann kräftiger und größer, das Kind klein und emporschauend. Allesamt getrennte Persönlichkeiten, doch von Volker Nikel durch einen Sockel vereinigt, der ihre Gemeinsamkeit, Mensch zu sein, manifestiert. Bei dieser Skulptur hat die Motorsäge ihr Werk getan und dem Künstler ist es dabei gelungen, mit ihr in der Hand und am Arm, also brachial, seine Formidee direkt, ohne den Umweg über die handwerkliche Arbeit, zu verwirklichen.

Eine andere Plastik, ebenfalls im zweiten Stockwerk, zeigt eine Gruppe von vier Männern, noch vom Stechbeitel aus dem Holz hervorgebracht, von denen drei den Vierten halten oder stützen und sich daraus ein Reigen bewegter kräftiger Körper ergibt, der Raum einschließt und gleichermaßen durchstellt. Für Volker Nikel ist bei diesen Einstückfiguren, also aus einem Stück Holz oder einer Stahlplatte direkt und unmittelbar herausgearbeitet, dabei nicht nur die Raumdurchstellung wichtig sondern auch die Durchbrechung. Der Begriff Durchbrechung nimmt für ihn eine inhaltliche Dimension an, da es sich hier um einen Durchbruch zu einer Form handelt, damit zu einem Kunstwerk und letztendlich zu der Anerkennung als Künstler.

Die Figuren im zweiten Stockwerk mit seinen farbigen Räumen hat Volker Nickel vielfach farbig gefasst. Dies beginnt mit der einfachen Schwärzung und Verkohlung der Oberfläche mit dem Schweißbrenner und der abschließenden Glättung mit Wachs oder dem Aufträgen von Ölfarben, zumeist lasierend oder nur die Vertiefungen berührend, sodass ein vielfarbiger Schimmer, wie bei einer kleinen Figurengruppe im zweiten Stockwerk im roten Raum, entsteht. Die Farbe bildet die Haut seiner Skulpturen, die ähnlich wie beim Menschen durchscheinend angelegt das Geäder und bei der Holz­skulptur das Spezifikum der jeweiligen Holzart, also das Grau der Olive oder das warme Braun der afrikanischen Würgefeige sichtbar macht.

Von besonderer Wirkung sind die Skulpturen im dritten Stockwerk, die aus der massiven Stahlplatte heraus gebrannt, flächenhafte, an das Zweidimensionale an­genäherte Körperhaftigkeit besitzen und in ihrer Schwärze auf die Entfernung wie bewegte Schatten wirken. Schatten, die wie bei dem Tischgestell, das aus Figuren und Stangen eine bewegte Einheit macht, die ihre Stabilität aufgrund der scheinbaren Instabilität der einzelnen Elemente besitzt und die in ihrer Gesamtwirkung Volker Nikel mit chinesischen oder japanischen Schriftzeichen vergleicht.

Der japanische Autor Tanzaki Junichiro spricht vom Lob und gleich-zeitig vom Rätsel des Schattens, der den Europäern sich nicht ohne weiteres in seiner Vielfalt erschließt. Für uns ist der Schlagschatten in seiner Wirkung von Bedeutung, während der Schatten, der sich am Objekt selbst festmacht, weniger Aufmerksamkeit hervorruft. Die Stahlskulptur von Volker Nikel, assoziiert als Unterwasserfrau, die in graziler Haltung einer Tänzerin dasteht, als ganz bewegte und vom Brennstrahl in sich differenzierte Silhouette, zusammengefügt aus einzelnen Stahlplatten, die von Schweißnähten labil und doch stabil aneinander geheftet sind, bietet ein solch in sich bewegtes Schattenbild, das zu einer groß gesehenen Form zusammenwächst und gleichsam in sich das Rätsel der Schatten trägt.

Während sich die Stahlskulpturen zu dem Dunkel der Schatten hinneigen, sucht der hier in der Halle am Treppenaufgang aufgestellte Engel, er konnte aufgrund seiner Größe nur hier untergebracht werden, mit seinen von der Flex polierten und gravierten Stahlblechflächen das Licht. Er steht da mit hoch erhobenen Schwingen, dessen Formen so angelegt sind, dass sie den Eindruck hervorrufen, als ob sie ursprünglich eine Einheit gewesen seien, die nun als Vielteiligkeit durch Zwischenräume getrennt als Einzelformen aus der Zweidimensionalität der Metallteile in den Raum hineinwirken und sich zugleich wieder als Raumding entmaterialisieren. Dieses Flügelwesen, das den Anschein erweckt, als ob es jeden Moment gen Himmel entschweben oder als auflodernde Flamme verglühen könnte, trägt in sich die Momente einer Augenblicklichkeit, die ganz im Gegensatz steht zu der stabilen Materialität seines Stahlblechkleides, das in Teilen als undurchdringlicher Panzer oder Rüstung wirkt, der das, was nach oben will, auf der Erde festhält und wiederum auf das Hier und Jetzt aller Körper im Raum verweist.

Rainer Maria Rilke beginnt seine zweite Duineser Elegie mit den Sätzen: „Jeder Engel ist schrecklich. Und dennoch, weh mir, / ansing ich euch, fast tödliche Vögel der Seele, / um dann einige Zeilen weiter die Frage zu erheben: „Wer seid ihr?/ Frühe Geglückte, ihr Verwöhnten der Schöpfung, / Höhenzüge, morgenrötliche Grate / aller Erschaffung, – Pollen der blühenden Gottheit, / Gelenke des Lichtes, /… Räume aus Wesen… Diese letzte Metapher „Räume aus Wesen bringt uns wieder an das Räumliche aller Skulptur, die mit ihrer Präsenz, dem Dasein im Raum, gleichsam Räume aus Wesen herstellt, wie auch bei dieser Ausstellung, in der die Skulpturen von Volker Nikel die Räume des Helferhauses umkodieren zu Räumen aus Wesen, in denen die Kunstwerke, die man im gewissem Sinne, wie Rilke die Engel, als Geglückte der Schöpfung bezeichnen kann.

Als Schöpfungen sind sie Hervorbringungen des menschlichen Geistes, wenn auch der Brachialgewalt der Kettensäge oder des Schweißbrenners entsprungen, sind sie in ihrem Rang als Kunstwerke auf ihre Art immer vollkommen. Vollkommenheit zeigt nicht nur in der geglückten Figur des Engels oder den vielfältig in Bewegung und Form differenzierten in Stahl und Bronze gestalteten Figurinen, diesen fragilen wirkenden Einstückskulpturen sondern auch in den Montagen. Im dritten Stock steht eine solche mit dem Fundstück eines naturalistisch plastisch gestalteten Ohrs ausgestattete Stahlskulptur und die zusätzlich noch in ihrem Aufbau, ostentativ das schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch, eine Ikone der Moderne, in sich trägt. Das Objet trouvé von Marcel Duchamp mit dem er die Frage nach der Kunstwerk und seinem Kontext stellt und das schwarze Quadrat sind Reduktionen auf die grundsätzliche Essenz der Kunst also metaphysische Setzungen.

In seinen Einstückskulpturen, die vielfach wie die Stahlsäule im zweiten Stockwerk, die aus der Addition ähnlicher Formen besteht oder bei den Figuren, die sich immer mehr zu einer organischen Form zusammenziehen strebt Volker Nikel die Dimension einer Monade im Sinne von Leibnitz an. Im Bild der Monade sucht Leibnitz weniger eine mathematisch-physikalische Größe als vielmehr eine substantielle Form, die sich als lebendiges Individuum zeigt und nicht nur als eine quantifizierbare Größe. Die Monade als organische Einheit von Körper und Seele, das Kraftzentrum des Lebens, besitzt ihre unverwechselbare Identität, so wie die Skulpturen von Volker Nikel, die alle von ausgedehnter Körperlichkeit und einer bestimmten Innerlichkeit monadisch geprägt sind und damit im Kern die Identität des nicht zu Unterscheidenden in sich tragen. Dies kann man sehr schön bei seinen Stuhlobjekten betrachten, die in ihrer formalen Vielfalt als Teil der mundus sensibilis, der sichtbaren Welt, wirken, aber im Kern die Formidee Stuhl repräsentieren und damit die Gegenwart einer Idee.

Insgesamt bleiben vorrangig die Arbeiten von Volker Nikel der mundus sensibilis, also der Wahrnehmung, verhaftet. Als solche gehören sie in der Welt der Sinne und damit der Ästhetik. Eine schöne Ergänzung dazu bieten die Bilder von Ute Richter, der Lebensgefährtin von Volker Nikel, die als ausgebildete Landschaftsarchitektin, wie das Bild im dritten Stockwerk im Mittelraum zeigt, einen Bezug zur Landschaft und ihren Stimmungen besitzt. Es handelt sich dabei nicht um eine traditionell gemalte Landschaft, sondern vielmehr um die Wiedergabe einer Stimmung, einer Spiegelung von hellem Blau, Rosa, Gelb, dunklen Farbstreifen und einen Horizont, der das Bild im oberen Drittel teilt und auf diese Weise Landschaftliches im Eindruck und der Vorstellungskraft der betrachtenden Personen entstehen lässt.

Interessant ist auch die Verbindung, ebenfalls im dritten Stockwerk im Raum rechts vom Eingang, in dem sich auf einem weiteren Bild von Ute Richter eine Vielzahl von Rottönen ineinander verschränken, zu einer intensiven Bewegung sich steigern und davor eine Gruppe von Figuren von Volker Nikel, im Schattenschwarz des Stahls gehalten und aus dem Feuer geschaffen, sich in einen dithyrambischen Tanz dreht und damit die Thematik des Tanzes der Rottöne auf dem Bild aufnimmt.

Der Maler Volker Nikel, nur mit einem der Monochromie sich annähernden Bild im zweiten Stockwerk vertreten, zeigt sich hier als ein Maler, der nicht nur den Pinsel oder die Spachtel sondern auch Arme und Hände bei der Malerei zu gebrauchen weiß und die Oberfläche der Leinwand in der Art mit einem aus reinen Pigmenten bestehenden warmen Gelbton überzieht, sodass die Spuren des Arbeitsprozesses ähnlich wie in seinen Skulpturen deutlich sichtbar bleiben und damit den Charakter des Bildes maß­geblich prägen. Am Schluss des Textes zur Einladung steht im Zusammenhang mit den Skulpturen von Volker Nikel der Begriff Bahn, der mit einer archaischen Metaphorik verbunden wird und dieses ex arche, das von Anfang an in den Werkstoffen Holz und Stahl Daseiende, bricht sich in dieser Ausstellung augenscheinlich und immer wieder auf neue Weise Bahn.

Meine Damen und Herrn damit möchte schließen. Ich bedanke mich für Ihre geduldige Aufmerksamkeit und sie müssen sich nun selbst Zugänge bahnen in die Körperwelt von Volker Nikel und in die Bildwelt von Ute Richter. Sie können aber natürlich auch mit einem Schmalzbrot und einem guten Wein beginnen, um sich dann solchermaßen gestärkt, auf den Weg zu machen und sich annähernde Bahnung in die Skulpturenwelt, diesem innerweltlich Zuhandenen, von Volker Nikel verschaffen.

Ellen Blumenstein, Kuratorin

Zwei Jahrzehnte Malerei und Skulptur von Volker Nikel

Volker Nikel ist nicht nur der Malerei und Skulptur durch die drei letzten Jahrzehnte hindurch treu geblieben, son­dern setzt sich für die Vieldeutigkeit und Offenheit in diesen scheinbar so klar definierten Genres ein. Seit sei­ner Zeit auf der Kunsthochschule und dem Abschluss als Meisterschüler bei Klaus Fußmann Mitte der Achtziger Jahre entwickelt er seinen Stil kontinuierlich weiter, beein­flusst von den amerikanischen abstrakten Expressionisten (Malerei) und der russischen Avantgarde (Skulptur). Abs­traktion und Figuration fließen immer wieder ineinander, in vielen Werken, skulpturalen wie gemalten, lässt sich auch nach genauem Betrachten nie ganz eindeutig ents­cheiden, welche Teilelemente wohl welcher künstleris­chen Tradition folgen, ob seine Skulpturen wohl die Male­rei beeinflussen oder die Malerei die Skulptur. Sicherlich gehört diese Offenheit und Neugier zu den markanten Merkmalen der Kunst von Volker Nikel. Seine Werke fol­gen keiner vorausgeplanten Entwicklung, das Verhältnis zeitlicher und räumlicher Bezüge ist in beide Richtungen offen, entwickelt sich osmotisch. Wichtig scheint ihm nicht die leichte Fassbarkeit seiner Arbeiten, sondern immer wie­der etwas nicht Benennbares, ein Ausdruck im Bild/in der Skulptur, der den Betrachter direkt anspricht und berührt. Nikels Werke geben keine Deutung vor, aber legen den­noch einen Rahmen fest, sie bewegen sich zwischen ex­pressiver Abstraktion und sinnlicher Figuration, Malerei wie Skulptur. Sie sprechen von der Suche nach Identität, nach Sinn, nach Fülle. Sie zeigen Zweifel, verleugnen ni­cht die Kraft, die Lebendigsein kostet, verheißen aber auch den Reichtum, den Risiko, Mut und die Kon­frontation mit dem eigenen Abgrund

bringen kann. Diese Bilder und Skulpturen sprechen vom Glau­ben an das Leben und die Liebe, wohlwissend, dass man beides schneller verlieren kann als einem lieb ist. Projekte für den öffentlichen Raum wie „Sender“, das auf der Biennale des Friedens in Hamburg und anschließend im Living Art Museum in Reykjavik (Island) gezeigt wurde, weisen doch auf die Relevanz hin, die die Auseinanderset­zung mit seinem Publikum für Nikel hat: Immer sucht er das Gespräch mit Passanten (im öffentlichen Raum) und Betra­chtern seiner Arbeiten: „Konzeptionelle Ideen in der Realität zu erfahren, heißt oft ein vorzeitiges Denken zu entwickeln und einem nicht gut informierten Publikum Begeisterung abzuringen.“ (Nikel im Gespräch). Der Kontakt und die Konfrontation mit Menschen fließen in seine Themen und Motive, zielen aber auch darauf ab, diese heranzuführen an seine Kunst, ihnen Möglichkeiten der Betrachtung und deren subjektive Erfahrungsmuster zugänglich zu machen.

Von Ellen Blumenstein, 2007

Rainer Maria Wehner, Bildhauer

Volker Nikel gehört zu jenen sogenannten Maler – Bildhauern, deren Figurenauffassung stark von der Malerei geprägt ist, von der Farbigkeit, die vielfach ein integraler Bestandteil der Plastik, bzw. der Skulptur ist. Farbe ist im Gegensatz zur Malerei hier niemals aufgesetzt, sondern während des Schaffensprozesses in die Arbeit eingeflossen, wurde aufgetragen, überarbeitet, überschliffen oder eingebrannt.

Ein weiteres Indiz für Volker Nikels Affinität zur Malerei ist die eigenwillige Plastizität seiner Figuren, die häufig aus Platten- material d.h. aus der Zweidimensionalität heraus entwickelt wurde. Grob aneinander gefügt, in dutzenden von Arbeitsgängen mit dem Schweißgerät, dem Schneidbrenner, mit Säure oder dem Winkelschleifer überarbeitet, zum Glühen erhitzt und erneut mit Schweiß­draht verschmolzen oder nur verpunktet. So entstehen eigenwillige Figuren, die -häufig auf einen kleinen Sockel gestellt- aus der Werktradition eines Giacometti verstanden werden können.

Anders hingegen, jedoch durchaus der eigenen Formensprache treu geblieben, die in der Anlage aufgestellten Holzfiguren, die aus dem vollen Material gearbeitet sind und Skulptur im klassischen Sinne darstellen. Durch unkonventionelle Oberflächen­behandlung, durch Verkohlungen und Versengungen, mit der Drahtbürste hernach wieder geglättet, ist, anders als etwa bei aufgebrachter Farbe, eine dem Wesen des Holzes entsprechende Materialhaftigkeit gefunden, die dem Wesen des Werkstoffs Holz entspricht und ihn noch atmen läßt. Dadurch erscheinen die Figuren dem Betrachter wie dunkle, geheimnisvolle, schattenhafte Fetischgestalten, die ihr Geheimnis nicht preisgeben.

Volker Nikel strebt nicht nach akademischer Genauigkeit oder anatomischer Abbildhaftigkeit, sondern seine Gestalten leben aus der skizzenhaften Geste, die mit geschwinder Hand gesetzt, einen Moment festzuhalten suchen, eine Bewegung, eine Regung. Der spontane, stets experimentelle Umgang mit dem Material stellt die plastische Entsprechung zum gestischen Pinselhieb des Malers dar oder zum rasch aufs Blatt gesetzten expressiven Bleistiftstrich des Zeichners.

Körperhaltung und Gestik der Figuren wirken dadurch natürlich, zufällig, unbeabsichtigt posend, manchmal schnappschußartig: Hier liegt einer in einer unbedachten Verlegenheitsgeste -oder ist es ein Schreckmoment?‘ die Hand an den Mund oder vor das ganze Gesicht; dort balanciert eine andere Figur auf einem Sockel, die Arme weit ausgebreitet, vorsichtig mit dem Fuße die schmale Schiene tastend auf der sie sich bewegt: Da tanzt jemand oder post, jedoch in einer Weise, wie es ein Mensch nur für sich alleine in seinem intimsten Umfeld vielleicht vor einem Spiegel tut. Genau dies verleiht den Figuren eine menschliche, heimliche Vertrautheit, die uns allen wohl bekannt ist, die wir jedoch niemals preisgeben würden.

Rainer Maria Wehner, 2004